Heim-Schul-Alltag

Personelle Trennung von Heim und Schule

Nach dem Weggang von Egon Wauschkuhn 1963 von der Heimschule Burg Neuhaus bahnten sich weitreichende Veränderungen zwischen Heim und Schule an. Das Jugendamt nahm den Weggang Wauschkuhns zum Anlass die Personalunion zwischen Heim und Schule zu beenden. Mit der Heimleitung wurde die bisherige Vertreterin Wauschkuhns im Heim, Anneliese Denner, beauftragt (StaatsA Wo 94 N, Nr. 451, S.18). Die Schulleitung übernahm der Lehrer Hermann Achilles aus Reislingen.

In den Verwaltungsakten finden sich wenige Beschreibungen über das Leben der Kinder im Heim und der Schule. Um Ihnen einen Einblick in den Schulalltag der Heimkinder in der neuen Schule zu vermitteln haben wir ein bereits am 8. März 2010 geführtes Interview mit der Lehrerin Petra Wiedemann (geb. Schultz) verschriftlicht. Es gibt tiefe Einblicke in das Schul- und Alltagsleben der Heimkinder in den 60er Jahren. Folgen Sie dem Link, wenn Sie erfahren möchten, wie die Lehrerin die Schulkinder erlebt hat, ihre Zusammenarbeit mit Schulleiter Hermann Achilles, der ein Vaterersatz für die Jugendlichen wurde, die nicht mehr in ihren Familien leben konnten. Frau Wiedemann berichtet ausführlich über die Vorbereitungen zum Weihnachtsmärchen, dem besonderen Adventskaffee auf Burg Neuhaus und der Schulfahrt, des jährlichen Zeltlagers in Lenste bei Grömitz an der Ostsee und viele Einzelheiten jenseits der Chroniken und Akten. Hier werden die Ereignisse in Schule und Heim in der Zeit von 1966-1971 dargestellt.

Neben dem Interview der Lehrerin Petra Wiedemann haben wir die Erinnerungen des Heimleiters Egon Krause (1.10.68-31.3.1971) und ehemaligen Heimschüler*innen. Sie waren im September 2010 zu Besuch auf Burg Neuhaus. Anhand von Dias der früheren Erzieherin Frau Exner, versuchte der Freundeskreis den Heimalltag auf Burg Neuhaus zu rekonstruieren.  

Ausflug der Heimschüler*innen in den 70er Jahren mit Erzieher*innen (Schenkung Peter Grzesko)

Niedergang und Schließung des Schulheimes Burg Neuhaus

Aus der Endzeit des Schulheimes haben wir ebenfalls einen Bericht einer ehemaligen Erzieherin, Ileana Dorothea Becker-Antico, die die Jahre 1977-1980 reflektiert.

Im Folgenden fassen wir die Akten der Heimaufsicht zusammen, die die Mängel im Schulheim Burg Neuhaus aufdeckte, die zur Schließung des Heimes führten.

Am 9.11.1978 wurde eine Heimaufsicht durch die Bezirksregierung Braunschweig angeordnet. Dabei gab es zahlreiche Rügen:

  • Jugendliche im Alter von 12-17 Jahren waren noch in 5-Mann-Zimmern untergebracht. Für damalige Verhältnisse unzumutbar.
  • Die gesamte Küche und die Lagerräume wurden gerügt.
  • Die Turnhalle entsprach nicht den Sicherheitsanforderungen.
  • Die Unterbringung von älteren Jugendlichen in Praktikantenzimmern wurde nicht akzeptiert.
  • Das Fehlen von Gemeinschafts- und Aufenthaltsräumen wurde beklagt.
  • Es wurde getadelt, dass zu viele Kinderpflegerinnen und zu wenig Erzieher auf der Burg Neuhaus, das nun Schulheim Burg Neuhaus genannt wurde, angestellt seien.

Heimleiter Peter Grzesko unternahm mit einer ausführlichen Situationsanalyse des Heimes und konstruktiven Verbesserungsvorschlägen ein letztes Plädoyer für den Weiterbestand des Schulheimes. Peter Grzesko leitete nach seinem Weggang aus Neuhaus mehrere Kinderheime und wurde später Vorsitzender des Dachverbandes der SOS-Kinderdörfer in Deutschland.

Die im Aktenbestand (Staatsarchiv Wolfenbüttel 94 N Nr. 451) vorhandene Sitzungsvorlage des Landkreises Helmstedt vom 30. Januar 1980 spricht aber vor allem von finanziellen Schwierigkeiten, in dem sich das Heim befand und deshalb geschlossen wurde. Der Bedarf an Heimplätzen sei rückläufig. Der Geburtenrückgang betrage in den letzten 10 Jahren 50% und die Einweisungspraxis der Jugendämter habe sich durch den Ausbau von Erziehungsberatungsstellen, Sozialarbeit und die Unterbringung bei Pflegeeltern stark verändert. Die Aufstockung von Fachpersonal (Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen und die Einstellung eines*einer Heimpsycholog*in) würden den Pflegesatz pro Kind von bis dahin 98,00 DM auf 130,00 DM anheben. Dadurch würde eine Unterdeckung von 140.000,00 DM entstehen. Dazu wurden bauliche Veränderungen für die Burg in Höhe von 3,7 Mio. DM ermittelt. Dies konnte und wollte der Landkreis Helmstedt nicht investieren.  Die Folge war die Schließung des Schulheimes Burg Neuhaus zum 31. Juli 1980.

Zusammenfassung

Diese digitale Ausstellung ist eine Festschrift zum 75. Jahrestag der Gründung der Heimschule auf Burg Neuhaus, die am 10. April 1947 eröffnet und am 31. Juli 1980 geschlossen wurde.

Bei der langjährigen Beschäftigung mit der Geschichte der Heimschule haben wir festgestellt, dass die Beschulung die zentrale Rolle gespielt hat:

  • Bis 1963 waren die Heimleiter, Otto Siegmund, Willy Trott und Egon Wauschkuhn ausgebildete Lehrer (Pädagogen).
  • Der Landkreis Helmstedt, als Betreiber des Heimes, entschied sich mit der Einstellung von Willy Trott für ein reformpädagogisches Schulsystem, dem Jena-Plan. Im Heim sollten Gruppen, geleitet von jeweils einer Gruppenmutter, einen familienähnlichen Rückzugsort schaffen, in Anlehnung an die SOS-Kinderdörfer.  
  • Der Tagesablauf richtete sich nach den schulischen Notwendigkeiten: Schulbesuch, Hausaufgaben und Nachhilfe.
  • Nach den Vorgaben des Jena-Plans wurde 1956 eine Schule auf dem Burggelände gebaut. Die große Anteilnahme an dem Schulneubau dokumentiert das digital hier lesbare Buch „Unsere Schule in Neuhaus“. Anschließend wurde das Heim vergrößert, um den Familiengruppen, den Bienen, Schwalben, Burgvögten und Wölfe, mehr Platz zu bieten.
  • Auch nach personellen und räumlichen Veränderungen gab es immer eine enge Zusammenarbeit zwischen Heim und Schule.
  • Noch 1972 erarbeiteten Heimleiter Peter Grzesko und Schulleiter Hermann Achilles ein großartiges Theaterstück für die 600-Jahr-Feier auf Burg Neuhaus, in dem alle Kinder eine Rolle bekamen
  • Mit der Einführung der Orientierungsstufe 1974 wurden die Heimschüler*innen nach der vierten Klasse an den weiterführenden Schulen der Umgebung unterrichtet.

Viele Quellen sind erhalten und konnten von uns ausgewertet werden. Leider haben wir keine Berichte der Heimmütter, die über viele Jahre die Entwicklung des Heimes und der Kinder mitverantwortet haben und nur vereinzelte Aufzeichnungen von Heimkindern.

Um die Persönlichkeitsrechte der Heimkinder zu schützen, haben wir so weit wie möglich alle Nachnamen von ehemaligen Heimkindern in Berichten und auf Fotos gelöscht.

Heinrich Oys und Elke Fuchs