Erinnerungen des Heimleiterehepaares Krause und der Heimschüler*innen

Auf Initiative des Freundeskreismitgliedes Leuthold Aulig kam es am 25. September 2010 zu einem Treffen des Heimleiters Egon Krause (1968-71), seiner Frau und von ehemaligen Heimschüler*innen auf Burg Neuhaus.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Leuthold Aulig zeigten die beiden Freundeskreismitglieder Bernd Riemann und Elke Fuchs den Besucher*innen Dias vom Heimschulalltag, die der Freundeskreis in seinem Bestand hat. Einerseits sollte damit das Treffen strukturiert werden, andererseits hegten wir die Hoffnung, Auskunft über die Bilder zu erhalten. Die Heimschüler*innen erkannten auch einige Personen, waren sich aber nicht immer sicher und einig, wer nun genau auf den Bildern zu sehen ist. Die meisten Erinnerungen erzählte das Ehepaar Krause.

Auf den Dias sind ausschließlich Kinder der Burgvögte-Gruppe zu sehen, die Frau Exner von ca. 1960-1972 leitete. Die Kinder haben sie schlafend auf einer Decke im Freien und einmal auf einem Fahrrad fotografiert. Die Fotos zeigen die Gruppe überwiegend an den Sonntagen und bei Ausflügen, z.B. beim Schwimmen in Danndorf im See, bei einer Fahrradtour nach Rühen, beim Schlittschuhlauf auf dem zugefrorenen Burgteich, beim Schlittenfahren am Hohen Stein in Neuhaus. Die unterschiedlichen Kleidungsstile auf den Fotos resultieren aus der Tatsache, dass die Kinder einerseits von den Eltern Kleidung erhielten, andererseits ein jährliches Bekleidungsgeld erhielten, mit dem sie sich individuell kleiden konnten. In der Nähstube wurde die Kleidung repariert, denn die vielen Unternehmungen und Arbeiten strapazierten die Kleidung. Außerdem wurde früher die Kleidung nicht genau passend gekauft, sondern so, dass Hosen, Röcke und Ärmel zunächst eingeschlagen wurden und nach einer Wachstumsphase wieder rausgelassen wurden.

Der Heimalltag wurde außer in den „Ferienzeiten“ überwiegend vom Schulbetrieb bestimmt – Schulbesuch und Schularbeiten mit Nachhilfe, damit jedes Kind auch einen Schulabschluss erreichen konnte. Nach der Schule gab es ein gemeinsames Essen in der Gruppe, dann folgten die Dienste (Abwasch, Fegen, Betten machen, …) und Hausaufgaben bis 15.00 Uhr. Dabei waren die Lehramtsanwärter*innen und angehenden Erzieher*innen eine sehr große Hilfe. Im Schulheim wurden regelmäßig Lehramtspraktikant*innen von den Pädagogischen Hochschulen Braunschweig, Lüneburg, Hildesheim, Oldenburg oder von Fachhochschulen für Sozialarbeit für mehrere Wochen oder Monate eingesetzt. Der Tagesablauf konnte von den Gruppenmüttern unterschiedlich variiert werden. Nur die Essenszeiten und Schulbesuchszeiten standen fest.

Der große Speisesaal (Rittersaal) diente in erster Linie als Fernsehraum für alle Kinder, die zusammen Serien ansahen (Augsburger Puppenkiste, Bonanza etc.) und für gemeinsame große Feiern zu Ostern, zu Weihnachten oder die Konfirmation.

In der Erinnerung der Heimschüler*innen gab es kaum gemeinschaftliche Spielaktivitäten von „Dorfkindern“ und „Heimkindern“. Diese Begriffe haben sich damals als „Klassifizierungen“ eingebürgert.  

Einige Kinder halfen auf den Bauernhöfen und konnten sich hier Taschengeld dazuverdienen. Die Kinder wurden angehalten das verdiente Geld zu sparen, damit sie ein kleines Polster für die Zeit nach dem Heimaufenthalt hatten. Dazu wurde von den Gruppenmüttern ein Sparbuch angelegt, das die Kinder beim Verlassen ausgehändigt bekamen.

1968, so Egon Krause, beschickte man einen Stand auf dem Basar für das Kuratorium Unteilbares Deutschland. (Anm.: Dieses Kuratorium wollte sich nicht mit der Teilung Deutschlands abfinden und sendete viele Hoffnungszeichen über die Grenze.) Auf Burg Neuhaus drechselte man im Bastelraum viele Stunden und verkaufte alle angefertigten Teile auf dem Basar des Kuratoriums. Die Arbeiten waren sehr begehrt. Von dem Geld wurden in diesem Fall Päckchen für Kinder in der damaligen DDR gepackt und verschickt. Für die Kinder, die in der Holzwerkstatt arbeiten durften, war dies gleichzeitig eine Auszeichnung, denn nur zuverlässige und vorsichtige Kinder durften hier arbeiten.

Ins Dorf durften die Kinder nur mit Erlaubnis der Erzieher*innen. Besonders lockte der kleine Einkaufsladen (AFU- Laden) in der Gaststätte „Zum Hohen Stein“ im Parkweg 1 neben der Schule. Auch war es ein besonderer Spaß, Ratten mit der Zwille zu jagen. Diese sah man häufig im Kellergeschoss der Burg, hier wurden Schweine gehalten und Gänse, deren Futter sich die Ratten vom Burgteich kommend, holten. Die Jungen lauerten dann oben an der Mauer, um die Ratten mit der Zwille „abzuschießen“.

In der Schulzeit wurde ein Zeltlager in Lenste an der Ostsee von Hermann Achilles, Schulleiter an der Neuhäuser Grundschule, organisiert und durchgeführt.

In den Schulferien wurde für alle 4 Heimgruppen ein je einwöchiger Aufenthalt im kreiseigenen Kindererholungsheim in Langeleben (Elm) oder für ältere Schüler*innen ein Zeltlager im Weserbergland bei Hameln organisiert.

Alle Kinder stammten aus schwierigen Familienverhältnissen und wurden den Familien durch das Jugendamt entzogen. Einige wenige Kinder wurden von Eltern selbst angemeldet, beispielsweise weil sie mit der Erziehung überfordert waren.

Die Kinder wurden in der Burg in vier Gruppen von ca. 15 Kindern untergebracht. Es gab einen Schlafraum für die Mädchen und einen für die Jungen, je nach Belegung waren dort jeweils 7-8 Kinder untergebracht. Neben den Burgvögten (blau) gab es die Wölfe (grün), die Schwalben (gelb) und die Bienen (rot) als Gruppen auf der Burg. Jede Gruppe hatte ein Farbsymbol, um Gegenstände den Gruppen leichter zuordnen zu können. Neben den Schlafräumen gab es einen Gruppenraum zum Essen, für die Hausaufgaben und gemeinschaftliche Aktionen. Die Erzieher*innen lebten in einem eigenen kleinen Raum, der aber z.B. auch als Fernsehraum von den Kindern genutzt wurde. Die Erzieher*innen hatten also kaum Privatsphäre, sie waren unverheiratet und lebten ganzjährig mit den Kindern zusammen. Bekamen die Erzieher*innen Besuch wurde dieser in die Familiengruppe integriert. Deshalb sind auch Besucher*innen mit auf den Dias zu sehen. Als Gästezimmer fungierte das Krankenzimmer. Dies war nötig, weil die Verkehrsanbindung von Neuhaus völlig unzureichend war.

Besuchstag für die Kinder war alle vier Wochen sonntags. Das war für alle Beteiligten kein leichter Tag. Besonders schlimm sei er für die Kinder gewesen, deren Eltern trotz Ankündigung nicht zu Besuch gekommen seien, sagte Herr Krause. Auch nach den Ferien war es oft schwierig, die Kinder wieder in die Gruppen zu integrieren. Manche wurden vom Heimweh geplagt, andere haben in den wenigen Wochen belastende Dinge erlebt, mit denen sie kaum fertig werden konnten.

Das Heim bekam häufig Spenden von gemeinnützigen Organisationen (Lions, Rotarier etc.) davon wurde ein Schwimmbecken für den Burggarten angeschafft, Fahrräder, Rollschuhe und Schlittschuhe gekauft.

Fasching in der Turnhalle